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Google Stadia im Test: Game-Streaming mit Verbesserungspotential

Stadia ist seit Anfang Dezember 2020 offiziell in der Schweiz verfügbar. Google war so freundlich und hat uns mit einer "Founders Edition" beglückt. Vielen Dank dafür! Also gleich angeschlossen, installiert und losgedaddelt. Doch dann kam die Ernüchterung...



Wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, dann schaue ich gerne etwas genauer hin. Google verspricht viel, wenn es um ihren neuen Cloud-Streaming Service Stadia geht. Aktuelle Triple-A Games spielen, ganz ohne teure Gaming-PCs oder NextGen-Konsolen, direkt am Fernseher, Tablet oder Handy im Wechselbetrieb. Kann das funktionieren? Die Antwort ist nicht einfach. Ich würde jetzt mal "Jaein" sagen, aber fangen wir von vorne an.


Was ist Stadia?


Google Stadia ist ein Cloud-Gaming Service, d.h. die Spiele laufen nicht lokal auf einer Hardware, sondern auf einem PC irgendwo da draussen, auf einer Google Server-Farm. Die Eingaben erfolgen zwar direkt bei euch zu Hause, also via Controller oder Maus und Tastatur, die Berechnungen hingegen, etwa wie sich euer Avatar in der Spielewelt bewegt, erfolgen alle auf dem Server. Das Einzige, was benötigt wird, ist eine schnelle und stabile Internetverbindung, am besten mit einer Flatrate. Google empfiehlt mindestens 10 Mbit pro Sekunde für 1080p-Streaming und mindestens 35 Mbit/s für 4K-Streaming. Der Vorteil klingt logisch: Man muss sich nicht extra einen teuren PC, eine Konsole oder gar Spiele kaufen. Es reicht die Stadia-App zu installieren und schon kann es theoretisch losgehen. Man muss nicht mal einen dieser Google Stadia-Controller kaufen, denn auch PS4- und Xbox-Controller werden unterstützt.



Wer am TV spielen will, bezahlt extra...


...und damit kommen wir auch gleich zum Haken: Wer die Games nicht nur auf einem Tablet, am Notebook oder Handy spielen will, sondern beispielsweise auch am nigelnagelneuen OLED TV (wink-wink), benötigt den Chromecast Ultra. Dieses kleine, unscheinbare Hardware-Zubehör gibt es zurzeit nur in der Stadia Premiere- oder Founders-Edition und diese kostet rund 120.- Franken. Enthalten ist ein Stadia-Controller mit Ladekabel/Adapter und ein Chromecast Ultra. Letzterer ist zur Nutzung von Stadia zwingend nötig, denn mit einem "alten" Chromecast funktioniert Stadia (noch?) nicht.


Die besten Spiele kosten extra


Die Preispolitik von Google bringt mich ins Grübeln. Kaufe ich mir ein Spiel im Stadia Store, kostet mich das mehr, als wenn ich es beispielsweise bei Steam digital erwerben würde. Und dabei gehört das Spiel dann nicht einmal mir, geschweige denn, kann ich es offline spielen. Neuere Games wie Assassin's Creed Valhalla, Watch Dogs Legion oder Cyberpunk 2077 kosten gut und gerne mehr als 70.- Franken. Zum Start von Stadia in der Schweiz stehen laut Google mehr als 100 Spiele zur Auswahl, wovon aber viele Indie-Games und ältere Triple-A-Titel sind. Bevor ihr also in Betracht zieht, euch eine „Stadia Premiere Edition“ zu holen, solltet ihr das Spieleangebot und die Preise betrachten. Sowas wie FIFA oder Call of Duty sucht ihr hier nämlich vergebens.



Stadia Pro kostet extra


Auch Google bietet, ähnlich wie Microsoft mit ihrem Gamepass, mit "Stadia Pro" einen kostenpflichtigen Abo-Dienst an. Zurzeit sind 33 Spiele darin enthalten, die man kostenlos spielen kann, solange man ein Abo hat. Die Meisten davon sind allerdings Indie-Games. Grossproduktionen kann man an einer Hand abzählen, darunter etwa Hitman (2016) und Hitman 2 (2018). Versteht mich nicht falsch, ich liebe Indie-Games! Da gibt's viele Perlen zu entdecken, aber gegen einen Gamepass oder Sony's Playstation Now Service wirkt das Spiele-Angebot von Stadia geradezu lächerlich. Hinzu kommt, dass man Stadia Pro benötigt, wenn man seine Games in 4k, HDR oder mit 5.1 Sound spielen will, ansonsten gibt's nur einen Full HD-Stream und das sieht ziemlich gruselig auf einem 4k OLED TV aus.


Mit Stadia Pro sehen Spiele in 4k sehr akzeptabel aus. Von einer nativen 4k Auflösung merke ich allerdings nicht viel. Das Bild wirkt immer noch sehr schwammig und unscharf. Weit entfernte Objekte in einer offenen Spielewelt - z.b. in Immortals: Fenyx Rising - sind schwer zu erkennen. Bei kräftigen Farbverläufen fallen immer wieder unschöne Komprimierungsartefakte auf. Kein Vergleich zu dem, was mir die PS5 oder eine Xbox Series X abliefern. Bei 2D Pixel-Games fällt sowas natürlich weniger ins Gewicht, aber bei grafisch anspruchsvollen Titeln beeinträchtigt das einfach die Freude am Spielen.



Schlimmer geht immer


Noch schlimmer wird es, wenn man Google Stadia an einen PC Monitor anschliesst, der keine 4k Auflösung unterstützt (1440p). In diesem Fall erhält man von Stadia automatisch nur einen Full-HD Stream, selbst wenn man für "Pro" bezahlt. Kein Oversampling oder weniger Komprimierung, die in Stadia Pro eigentlich vorhanden wären. Wer einen Breitbild-Monitor sein Eigen nennt, kommt ebenfalls ins Schwitzen, denn das Bild lässt sich in 1920x1080 nicht über die gesamte Breite nutzen bzw. wird einfach in die Breite gezogen (siehe Bild oben). Unschön.


Stadia und mein Smartphone


Gemäss Google lassen sich alle Spiele auch auf dem Handy zocken. In Wahrheit funktioniert das aber nur auf ein paar wenigen Modellen. Wer ein Smartphone eines zweit- oder drittgrössten Handyanbieters besitzt, sagen wir mal Huawei, Xiaomi, HTC oder Nokia, kann Stadia leider nicht nutzen. Und selbst beim Platzhirsch Apple funktioniert das Ganze noch nicht. Immerhin soll Stadia für iOS in Kürze verfügbar sein, vermutlich aber nicht via App, sondern über eine Browser-Lösung. Suboptimal. Und wie bei einem PC-Monitor gibt's auf Smart-Devices nur einen 1080p Stream - wer komplett über WiFi und kabellos spielen will muss sich gar mit 720p zufrieden geben. Dank kleinerem Display fällt hier die unscharfe Brühe aber weniger ins Gewicht. Schön ist aber anders.



Ruckeln und Input-Lag


Sollte alles ineinandergreifen, dann läuft das Spielen via Stream meist flüssig nur mit seltenen Rucklern, die man noch verschmerzen kann. Beim Versuch 4k Bildmaterial über mein 54 Mbit/s WiFi6 W-LAN Router abzurufen, kam es dann aber doch zu einigen unschönen Aussetzern, was das Spielen teilweise unmöglich machte. Überraschend: Sowohl der Stadia Controller, welcher ebenfalls im W-LAN mit dem Internet verbunden ist, als auch mit einem Xbox Elite 2 Controller, merkt man beim Spielen keine nennenswerte Eingabeverzögerung. Laut Google soll die Latenz durch „machine learning“ irgendwann mal sogar an kabelgebundene Controller heran reichen. Das könnte ich heute schon fast glauben, Kompliment. Input-Lag und Rucklern kann man übrigens weiter entgegen wirken, indem man die Grafikdetails verringert oder den Chrome Cast via RJ45 Kabel direkt mit dem Router verbindet. Dann ist das Spielen praktisch verzögerungsfrei.



Schwergewicht Stadia Controller


Der Stadia-Controller ist mit 265 Gramm recht schwer und grösser als ein normaler Xbox-Controller. Für Kinderhände ist er damit kaum geeignet. Der Schwerpunkt ist durch den fix verbauten Akku eine Spur zu weit vorne, weshalb man das Gefühl hat, ihn mit dem Daumen auf den Analogsticks in Balance halten zu müssen. Um mit dem Smartphone unterwegs zu spielen, kann optional die „Power Support Claw“ für ca. 20.- Franken gekauft werden. Damit wird das Handy direkt an den Controller geschnallt. Auf Dauer ist das aber nicht sehr angenehm.


Der Stadia Controller verfügt über Google Assistant. Mit Hilfe des eingebauten Mikrofons dürft ihr also Sprachbefehle geben, was tadellos funktioniert. Kopfhörer lassen sich via 3,5mm-Klinke anschliessen. Ausserdem gibt es eine Share-Taste die, einmal gedrückt, Screenshots oder Videos (der letzten 30 Spiel-Sekunden) abspeichert. Bis zu 500 Videoclips und unendlich viele Screenshots lassen sich derzeit in der Cloud speichern.



Fazit:

Zugegeben, die Idee hinter Stadia ist interessant, sehr ambitioniert und verdient auf jeden Fall Respekt. Google macht auch vieles richtig. Die Installation ist super einfach, der Controller wertig, liegt super in der Hand und ist gut verarbeitet. Wenn alles funktioniert wie es soll, kann man sogar Spass mit Stadia haben. Wirklich überzeugt hat mich das Ganze dennoch nicht, und dabei rede ich noch nicht einmal von der technischen Umsetzung, die noch viele Wünsche offen lässt. Unscharfer Bilder-Matsch, Input-Lag oder Ruckeleinlagen sollten in diesem Jahrzehnt beim Spielen definitiv der Vergangenheit angehören. Nein, vielmehr ist es die Preispolitik und das super magere Spiele-Angebot, das dem kalifornischen Internet-Giganten den Erfolg ordentlich vermiesen könnte. Die Bibliothek gibt keinem echten Gamer das Gefühl etwas zu verpassen, sollte man sich Stadia nicht jetzt und sofort zulegen. Aber vielleicht ist das auch gar nicht die Intention von Google. Vielleicht ist die Zielgruppe ja eine komplett andere? Jene, die sich keinen guten Gaming PC oder eine dieser heiss begehrten NextGen-Konsolen leisten kann. Jene, die keinen Wert auf "das bestmögliche Spielerlebnis" legt und für die 4k, HDR und Dolby-Vision einfach nur Fremdwörter sind. Die könnten mit dem Service vielleicht doch glücklich werden. Ein fettes Internet-Rohr ist allerdings Voraussetzung. Wenn Google Stadia langfristig ein Erfolg werden soll, müssen in meinen Augen sehr viel mehr Triple-A Spiele her und Pro-Subscriber mehr Wert für ihr Abo bekommen. Zum jetzigen Zeitpunkt lohnt sich ein Einstieg ins "Google Cloud-Gaming" für Hardcore-Gamer noch nicht. sb

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