Irgendwie fühlt es sich so an, als wäre gerade erst Teil 3 von Forza Horizon erschienen, zumindest hab ich dieses bis vor kurzem noch mit vollem Elan gespielt. Die Bezeichnung „Das beste Rennspiel, das es jemals gab“ traf es damals für mich recht gut, auch wenn ich ungern solche Superlative in den Mund nehme. Die 100% zu erreichen, das bleibt mir aber wohl vorenthalten, dafür war oder ist Forza Horizon 3 einfach zu umfangreich. Kurz; es fiel mir äusserst schwer zu glauben, dass man da noch einmal einen oben drauf setzen könnte. Tja, so kann man sich irren.
Ich liebe Rennspiele, brauche aber keinen Hyperrealismus. Darum fuhr letztes Jahr Forza Motorsport 7 ziemlich an mir vorbei. Ich bin zu dieser Zeit lieber in Horizon 3 mit meinem Audi R8 durch die australische Pampa gebrettert. Am Setup des Wagens rumschrauben, stundenlang an einzelnen Schräubchen drehen, um noch die letzten Hundertstelsekunden aus einem Rundkurs heraus zu holen, das ist einfach nicht (mehr) mein Fall. Ich fahre lieber. Und in Forza Horizon wird viel gefahren, praktisch non-stop. Natürlich gibt es auch in Forza Horizon 4 die Möglichkeit individueller Setups, mit haufenweise Tuning-Teilen, Spoilern und selbstdesignten Aufklebern und Bemalungen. Trotzdem dürfte es für Realismus- und Simulations-Fans zu wenig sein. Plus wird man man nicht gezwungen diese Optionen zu nutzen. Spass am Fahren und die Erkundung steht im Vordergrund und Junge, davon gibt es in Forza Horizon 4 jede Menge!
Controller oder Lenkrad spielt überhaupt keine Rolle. Ich sehe zwar den Vorteil eines Wheels und besitze auch eines, bin aber meistens zu faul um die ganze „Gstellage“ aufzustellen. Pick-up and Play, das klappt mit dem Controller am besten und mal ehrlich, mit einem Xbox One Pad steuert sich Forza Horizon 4 so vorzüglich, dass man ein Lenkrad überhaupt nicht vermisst.
Während sich der simulationslastige "Motorsport"-Bruder von Horizon auf die Rennen und Rennstrecken konzentriert, liegt der Fokus bei Horizon beim Fahren und Erkunden der weitläufigen Open-World und gerade in diesem Punkt ist Horizon 4 seinem Vorgänger meilenweit überlegen. Im Vergleich zu Australien bietet das neue Setting in England viel mehr Abwechslung. Hier geben sich verwinkelte Städtchen, langgezogene Überlandabschnitte, hügelige Landschaften mit scharfen Kurven und dreckige Sümpfe die Klinke in die Hand. Letztere sind ideal für die Rally-Disziplinen, denen man diesmal spielerisch ebenfalls mehr Aufmerksamkeit schenkt. Racing, Drifting, Rally und Off-Road, alles wieder mit dabei.
Das Sahnehäubchen auf diesem hervorragenden Rennspielkuchen sind die dynamischen „Seasons“. Wir bekommen dieses mal sozusagen gleich vier Versionen von Forza Horizon 4, denn jede Season fühlt sich komplett anders an, am Controller und optisch am Bildschirm. Nachdem man sich im Sommer auf den meist trockenen Strassen anfänglich einen Namen gemacht hat wird es Herbst, dann Winter. Die Strassen werden von Schnee und Eis überzogen, Schneefälle behindern die Sicht. Im Herbst rutschen wir auf feuchten Blättern um die Kurven und werden von Nebelfeldern eingeschränkt. Im Frühling wechseln sich sonnige Abschnitte mit Regen ab. Pfützen- und Schlammbildung sind hier häufige Begleiter.
Forza Horizon 4 entschlackt das Track-Design, um auch hier mehr Abwechslung zu bieten. So gibt es während der Rennen mehr Checkpoints und auch mehr Kurven als im weitläufigen Australien des Vorgängers. Das schränkt den Spielraum für Fehler zwar etwas ein, macht die Rennen aber spannender. Schlimmstenfalls nutzen wir halt die Rückspuhl-Funktion um Fahrfehler zu korrigieren. Obwohl wir in Horizon 4 keine bekannten Rennstrecken sehen gibt es weiterhin die Möglichkeit via Blueprints eigene Tracks zu designen und diese mit der Welt zu teilen, ein System, dass nahezu unendlich viele Möglichkeiten bietet und für viel Langzeitmotivation sorgt.
Der Umfang des Spiels ist aber auch so enorm und ich bezweifle, dass viele von euch jemals die 100% Marke knacken werden. Mit dem ansehnlichen Fuhrpark von knapp 500 Fahrzeugen von rund 100 Herstellern stehen mehr Rennen auf dem Programm als je zuvor. Ein Mangel an Autos kann man dem Spiel nicht vorwerfen, praktisch im Minutentakt werden dem Spieler neue Boliden geschenkt, der fahrbare Untersatz sehr häufig gewechselt. Das ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass wir hier öfter die Disziplin und Bodenbeschaffenheit wechseln als es normalerweise bei Rennspielen üblich ist.
Die neue „Horizon Life Campaign“ bietet über 25 unterschiedliche Mini-Kampagnen, die alle mit anderen Fahrzeugtypen und in anderen Kategorien bestritten werden. So lernt man alle Facetten des Rennspiels kennen. Die Spielewelt wird dabei entweder von KI gesteuerten Drivatars bevölkert oder von echten Menschen (bis zu 78 auf einmal!). Die Spontanität dieser Echtzeit-Multiplayer-Welt, in der jeder jeden zu jeder Zeit zu einem Rennen herausfordern kann, war schon in den Vorgängern ein grosser Pluspunkt. Wer sowas nicht mag, spielt einfach offline, auch kein Ding. Horizon 4 erweitert den nahtlosen Multiplayer-Modus mit zwei Neuerungen: Quick-Chat und Autoghost. Quick-Chat ist für mikrofaule Menschen (oder solche, die keines haben) und bietet viele vorgefertigte Sätze wie „Schöner Wagen!“ oder „Lass uns ein Rennen fahren!“. Autoghost verhindert dagegen Kollisionen mit anderen Online-Spielern. Natürlich gibt es auch dieses Mal wieder haufenweise Co-Op und PvP-Quests mit Gruppenzielen und Highscorelisten.
Grafisch kann Forza Horizon 4 den imposanten Vorgänger noch einmal übertrumpfen und gerade auf einer Xbox One X mit einem 4k HDR TV werdet ihr euch ab und zu ungläubig die Augen reiben! Im Fotomodus verschwimmt zusehends der Horizon(t) zwischen Spielegrafik und Fotorealismus. Derart detaillierte Wagen und Interiors gibt es nicht einmal in einem Gran Turismo. Einzig die Charakter-Modelle und Details in der Ferne fallen grafisch etwas ab, was jedoch kaum ins Gewicht fällt. Besitzer einer „X“ haben übrigens die Möglichkeit zwischen einem Qualitäts-Modus (4k/30fps) und dem Performance-Modus (1080p/60fps). PC Spieler kümmert das freilich wenig, denn Horizon 4 ist ein Play-Anywhere Titel und kann somit auch auf einem potenten Spielerechner ohne Grafikschranken gedaddelt werden.
Fazit:
Playground Games macht das Unmögliche möglich und hat es geschafft, mit Forza Horizon 4 in praktisch allen Belangen den hervorragenden Vorgänger noch einmal zu toppen. Grafik, Umfang, spielerische Freiheit und Abwechslung suchen im Rennspiel-Genre ihres gleichen, und das systemübergreifend. Steht ihr auf Simulationen oder Hyperrealismus in euren Rennspielen, solltet ihr vielleicht trotzdem zuerst Probe spielen oder auf einen neuen Teil der „Forza Motorsport“ Serie warten. Steht für euch aber der pure Spass am Fahren im Vordergrund, kommt ihr um dieses Spiel einfach nicht herum. Wenn jetzt beim nächsten Mal noch ein lokaler Multiplayer-Modus dazu kommt, haben wir hier ein perfektes Rennspiel.
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