Quantic Dreams ambitioniertes Film-Spiel ist endlich fertiggestellt. Haben es die Macher von Fahrenheit geschafft, alles zu verwirklichen um uns den nächsten Schritt des Gamings vorzuzeigen? Was ist es, das Heavy Rain so einzigartig macht?
Wie weit würdest du gehen, um jemanden den du liebst, zu retten? Würdest du dein Leben für jemanden den du liebst aufs Spiel setzen? Für ihn oder sie sterben? All diese Fragen stellt sich auch Ethan Mars, einer der Hauptprotagonisten in Heavy Rain. Durch einen Unfall wird einer seiner zwei Söhne getötet und ihn plagen jetzt extreme Vorwürfe. Als sein zweiter Sohn plötzlich unauffindbar ist, kommt ein schlimmer Verdacht auf: Der Origami Killer könnte ihn entführt haben. Dieser Serienkiller entführt Kinder, nur um sie danach in einem Versteck einzusperren und langsam durch Regenwasser ertrinken zu lassen.
Die schockierten Eltern erhalten vage Hinweise über deren Verbleib und haben meist nur knapp 3-5 Tage Zeit ihr Kind zu retten, was aber bisher niemandem gelang. Ihr schlüpft nun nicht nur in die Rolle des verzweifelten Vaters, der bereit ist alles zu tun, um sein Kind zu retten, sondern abwechselnd auch in die Rolle von 3 anderen, völlig verschiedenen Charakteren, welche alle in irgendeiner Weise miteinander verbunden sind. Ob als asthmakranker Privatdetektiv, mysteriöse Dame oder FBI Agent, jeder spielbare Charakter besticht seinerseits durch eine starke Hintergrundstory. Heavy Rain ist mehr ein interaktiver Film als ein herkömmliches Spiel. Was heissen soll, dass ihr euch nicht frei in der Stadt bewegen oder irgendwelche Leute abballern könnt, sondern der ziemlich linearen und spannenden Story folgt. Was das Spiel so herausragend macht sind die extrem gut ausgearbeiteten Charaktere und deren Geschichten.
Das Spielprinzip ist sehr speziell. Ihr könnt an diversen Orten frei herumlaufen und diverse Tätigkeiten (z.B. Orangensaft trinken, Tisch decken, duschen, auf die Toilette gehen, ein Auto starten und ähnliches) vornehmen. Dies geschieht alles in einem Quicktime Verfahren, also durch das korrekte Drücken der angezeigten Knöpfe. Dies bedingt auch das feinfühlige Betätigen des Analogsticks, wenn ihr beispielsweise eine Wunde pflegt. Seid ihr zu schnell, fügt das dem Charakter Schmerzen zu, macht ihr es richtig, verheilt die Wunde korrekt. Auch mehrere Knöpfe auf einmal wollen gedrückt werden. Nicht selten müsst ihr 3-4 auf einmal betätigen! Also stellt euch auf verknotete Hände ein. Sobald genügend Zeit verstrichen ist oder ihr erfolgreich eine Aktion ausgelöst habt, wird die nächste Filmsequenz eingespielt. Den Controller könnt ihr aber nicht hinlegen. Ihr müsst immer dabei sein und reaktionsschnell die vielen Actionpassagen per Quicktime überstehen, ähnlich wie beim Dreamcast Klassiker Shen Mue.
Der Hauptteil des Spiels verbringt ihr aber mit dem Treffen von Entscheidungen. Im Spiel interagiert und redet ihr mit diversen Personen. Wie ihr das tut, ist euch überlassen. Wie verhaltet ihr euch, wenn ihr beispielsweise von einem Räuber überfallen werdet? Redet ihr ihm ins Gewissen? Geht ihr aggressiv vor oder rennt ihr weg? Die Entscheidung über die Handlungen eures Charakters ist euch überlassen, die Konsequenzen davon tragt ihr allerdings auch selber. Stellt ihr euch zu aggressiv oder tollpatschig an, wird die Story anders weitergesponnen. Die Hauptcharaktere können sogar sterben! Die Story wird aber zu jeder Zeit weitergeführt, einen "Game Over"-Bildschirm werdet ihr nicht sehen. Je länger ihr euch dem Spiel widmet, desto mehr fängt man sich für die Charaktere zu interessieren. Man leidet sogar mit, denn an Dramatik fehlt es dem Spiel keinesfalls.
Im späteren Spielverlauf schlüpft ihr in die Haut eines FBI Agenten. Mit ihm seid ihr dem Origami Killer auf den Fersen. Ihr untersucht diverse Mordschauplätze akribisch nach Indizien über den Mordfall. An diesen Stellen kommt der Adventureanteil des Spiels zum Vorschein. Ihr untersucht mit eurem futuristischen Equipment die Gegend nach Indizien, redet mit den Anwesenden Polizisten und befragt Verdächtige. Leider macht hier die extrem verkorkste Lauf-Steuerung viel zunichte. Zu unhandlich ist sie, um die Spielfigur präzise zu lenken. Auch die Kamera zeigt die Szenen vielfach aus einem schlechten Winkel.
Als wir das Spiel vor vielen Jahren einmal als Techdemo für die PS3 erblickten, staunten viele nicht schlecht ab der grafischen Pracht. Diese Pracht ist auch im fertigen Spiel zu sehen. Der grafische Stil ist sehr düster, ja gar deprimierend gehalten, was absolut passend ist. Prunkstück des Spiels sind die sagenhaften Gesichter der vielen Menschen im Spiel. Selten sah man derart detaillierte Gesichtszüge, Emotionen oder einfach Menschlichkeit in einem virtuellen Gesicht. Leider kann man dies von der Umgebung nicht behaupten. Diese trübt das schöne Bild mit vielen niedrig aufgelösten Texturen. Auch die Animationen der Charaktere ausserhalb der Zwischensequenzen sind sehr hölzern. Die Musikuntermalung passt sich dem Spiel perfekt an, je nach Entscheidung, wirkt es ruhig, bedrohlich, spannend oder gar erotisch. Das Spiel lässt sich mehrsprachig einstellen. Die Englische Sprachausgabe hat uns vollends überzeugt. Jeder Sprecher macht seine Sache wirklich fantastisch und bringt gekonnt jeden Charakter hervorragend zur Geltung.
Da das Spiel bis zum Abspann nie aufhört, bleibt man gefesselt vor dem Bildschirm. Nach knapp 5-6 Stunden hat man dann doch das Rätsel um den Origami Killer gelöst. Es ist aber noch lange nicht fertig. Ihr habt die Möglichkeit durch die Kapitelwahl, jede Szene noch einmal zu spielen und zu sehen, was für andere Auswirkungen ihr zu sehen kriegt und wie diese die anderen Storys beeinflusst, denn wer weiss, wie viele Endings das Spiel vorzuzeigen hat…
Fazit:
Heavy Rain ist ein ganz besonderes Stück Software. Ich als alter Shen Mue Hase, konnte es kaum erwarten, dieses ambitionierte Spiel in meine PS3 zu legen. Und ich wurde glücklicherweise keinesfalls enttäuscht. Das Spiel ist zwar mehr ein Film mit clevereren Quicktimes als ein wirkliches Action Adventure Game, besticht aber durch genial durchdachte Charaktere und einer enorm spannenden Story, so dass man das sofort vergisst! Ich habe mich total in die Charaktere versetzen können und fühlte jede Sekunde mit ihnen mit. Dies hat sich auch in meine Entscheidungen in den Gesprächen widerspiegelt. Die Möglichkeit selbst zu bestimmen, wie man auf jede Situation reagiert, ist sehr spannend. So ergeben sich unzählige neue Ausgänge der Gespräche. Sehr motivierend! Schade ist trotzdem, dass diese Interaktion nicht auch auf die Umgebungen ausgeweitet wurde. Auch die Animationen und die Steuerung sind sehr dürftig. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Wer auf diese Art von Spiel steht, wird mit Heavy Rain ein spannendes Abenteuer erleben, dass einen bis zum Schluss nicht loslässt!
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