Ein tragisches Schiffsunglück hat die unerfahrene junge Lara von der restlichen Besatzung getrennt. Sie findet sich auf einer abgelegenen Insel im lebensfeindlichen Drachentriangel von Japan wieder. Das gerade gefangene Abendessen röstet auf dem Lagerfeuer. Sie ist hungrig, verängstigt und verwundbar. Sie bringt Gefühle zum Ausdruck die sonst in Videospielen nur mit dem Klischee der entführten Prinzessin in Verbindung gebracht werden, niemals mit der Heldin.
Tomb Raider erzählt die ursprüngliche Geschichte des popkulturellen Phänomens namens Lara Croft. Wir erfahren, wie Lara aus einer verletzlichen Frau zur selbstbewussten Amazone heranwächst. Die ersten Eindrücke, des vor 17 Jahren erschienenen Originals und des Reboots könnten nicht unterschiedlicher sein. Im Laufe des Abenteuers wird sich Lara mit Gelassenheit über Felsvorsprünge hangeln und eine Menge Leichen hinter sich lassen. Doch zu Beginn, in der Kälte von Yamatai, sieht die Situation noch anders aus.
Leider wurde bei der Charakterentwicklung Laras eine Chance verpasst. Zu Beginn nahm ich ihr das verwundbare Mädchen total ab. Doch sobald sie eine Waffe in die Hände bekommt wird sie zu einem regelrechten Todesengel. Voller Bedauern erlegt sie einen Hirsch um nur ein paar Stunden später die Insel mit Toten zu übersäen. Dabei kann sie äusserst brutal vorgehen, was ihre anfängliche Verletzlichkeit total lächerlich macht. Gewalt in Videospielen ist heute allgegenwärtig und ich möchte an dieser Stelle auch keineswegs über Sinn und Unsinn durch deren Darstellung diskutieren
Trotz Laras Blutdurst, der Schauplatz des Abenteuers vermochte mich zu beeindrucken. Reale Archäologen und Historiker streiten sich noch heute um die genaue Lage der Insel. So machte sich die Schiffscrew auf den Weg um die sagenumwobene Insel zu finden, um so zu Ruhm und Reichtum zu kommen. Die Designidee, die Insel in ein japanisches Bermudadreieck zu verwandeln, macht nicht nur aus einer erzählerischen Perspektive Sinn. Die künstlerische Freiheit holt aus dem Setting das Maximum raus.
Die wilden Stürme, die zu dem Schiffunglück führten, haben die Landschaft gezeichnet. Yamatai ist kein tropisches Paradies wie die Insel aus Far Cry 3 oder der TV-Serie Lost. Dunkle Sturmwolken hängen am Horizont. Berge in der Ferne wirken furchterregend mit ihren spitzen Felsen. Das Blattwerk ist üppig, doch nur selten grün. Yamatai ist ein dunkler, angsteinflössender Ort. Umso erstaunlicher ist die Leistung der Artdirectors, da die Insel trotz ihres unwirtlichen Äusseren einen bemerkenswerten Charme ausstrahlt. Dabei ist die Insel erstaunlich vielfältig. Wälder, Berge und Höhlen wollen erkundet werden. Dank dem wechselnden Klima und den archäologischen Stätten ist das Eiland wie prädestiniert für Erkundungstouren.
Wer die Uncharted-Serie kennt, dem werden unweigerlich Parallelen auffallen. Doch im Gegensatz zum unbekümmerten Helden Nathan Drake reist Lara nicht um die ganze Welt. Ihre Aufgaben beschränken sich auf Yamatai. Dass sich Tomb Raider in Sachen Spektakel und Abwechslung nicht hinter dem offensichtlichen Vorbild verstecken muss, spricht für sich. Ebenfalls löblich ist die offenere Umgebung. Lara hat zwar einen vorgegebenen Pfad, doch es spricht nichts dagegen, auch mal davon abzuweichen. Die namensgebenden Gräber sind auf diese Weise aufzuspüren. In den Gruften gibt es Physik Puzzles zu lösen. Statt eines seltenen Schatzes erwartet euch aber eine Truhe voller XP.
Alles was Lara auf Yamatai macht, wird mit Erfahrungspunkten belohnt. Sind erst mal genug davon gesammelt kann man sie, auf drei Kategorien verteilt, für einen Skill Point wieder ausgeben. Die Survivor Kategorie hat den Vorteil, dass eine grössere Beute bei einer Plünderung gutgeschrieben wird. Die Hunter Kategorie versorgt Lara mit mehr Munition. Last but not least versorgt Brawler die Protagonistin mit mehr Trefferpunkten und nützliche Konterattacken stehen ihr zur Verfügung.
Selbstverständlich muss sich Lara nicht nur mit ihren Fäusten gegen die Besetzer auf der Insel wehren. Ihr Arsenal wird durch eine Schrotflinte, ein Gewehr und durch die vertrauten Pistolen ergänzt. Doch die Waffe meines Vertrauens war der Pfeilbogen. Seit den ersten Minuten des Spiels habe ich das Utensil nicht mehr aus den Händen gegeben. Der Bogen macht ähnlich wie Lara eine Evolution durch. Zu Beginn wird er für die Jagd auf Wild gebraucht. Im Verlauf der Geschichte dient er als Karabiner und schwere Objekte können damit bewegt werden. Auch in Feuergefechten wollte ich nicht auf meinen treuen Begleiter verzichten. Ein lautloses Vorgehen ist nur mit dem Bogen möglich und auch im Nahkampf kann er als tödliche Waffe eingesetzt werden. Die „normalen“ Schusswaffen machen aus Tomb Raider einen lauwarmen 3rd Person Shooter von der Stange und fühlen sich ein wenig fremd an. Das passiert mit dem ausgefeilten Bogen nicht.
An einigen Stellen wird Lara ein wenig zu oft in Konfrontationen verwickelt. Wenigstens bietet die Story ein wenig mehr Inhalt um die mörderischen Tendenzen Laras zu entschuldigen als sonstige Spiele aus dem Genre. Sie tötet in erster Linie um sich selber zu schützen und danach um ihre Freunde zu retten. Wegen ihrer reinen Absichten ist der Schwierigkeitsgrad nicht gerade herausfordernd. Die Chancen stehen immer zu euren Gunsten. Explodierende Fässer werden geeigneter Weise gleich neben einem feindlichen Lager deponiert und dank brutalen Finishing Moves kann sich die Amazone auch auf engstem Raum verteidigen. Scheitern ist somit eine Seltenheit.
Vielleicht wurden deshalb äusserst brutale Szenen zum Ableben von Miss Croft eingebaut. Ähnlich wie in Dead Space gibt es je nach Ausgangslage eine andere Animation zu „bestaunen“. Eine besonders grausame Art ins Gras zu beissen macht bereits im Internet die Runde. Damit wären wir wieder beim übertriebenen Gewaltfaktor, doch darüber liesse sich wohl endlos diskutieren.
Fazit:
Seit dem letzten Teil der Serie, Tomb Raider Underworld, sind mittlerweile vier Jahre vergangen. Lara hat aus dem Hintergrund zugeschaut wie sich eine ganze Generation definiert hat. Der aktuelle Tomb Raider Titel hat seine Hausaufgaben gemacht und ist in vielerlei Hinsicht eine Collage aus den grössten Erfolgen der vergangen Jahre. Erfahrungspunkte nach einem Abschuss erinnern an Call of Duty. Die flüssigen Bewegungen der Heroine an Assassins Creed. Die spektakulären Cinematics von Uncharted und die Audiologs aus Bioshock sind ebenfalls vertreten. Trotz all den offensichtlichen Inspirationen kann sich Tomb Raider eine eigene Identität schaffen. Das ist vor allem der britischen Amazone zu verdanken. Egal ob sie sich unter einen Felsvorsprung kauert um sich vor dem Regen zu schützen oder fünf Männer gleichzeitig ins Jenseits befördert, das ist immer noch Lara Croft. Diesmal hat sie sogar eine Persönlichkeit, die weit mehr bietet als ihre weiblichen Rundungen, was sie umso menschlicher macht. Der eigentliche Zweck eines Reboots, einen bekannten Charakter neu zu definieren und die Weichen für die Zukunft zu stellen, wurde absolut erfüllt.
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