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AutorenbildArmin Medic

The(G)net Review: Returnal

Abgestürzt auf einem unwirtlichen Planeten, temporäre Amnesie, das Raumschiff ein Fall für die Schrotthalde und nur mit einer kümmerlichen Laserpistole im Gepäck, mischen wir die lokale Alien Brut tüchtig auf oder versuchen es zumindest... immer wieder und wieder.



Sony's zweiter, exklusiver PS5-Release 2021 beginnt ohne Umschweife. Kaum aus dem Schiffswrack entflohen, geht's nach einem kurzen Einspieler gleich los. Heldin ist die Astronautin Selena, deren Space Havarie ihren zukünftigen Terminplan gehörig durcheinanderbringt. Statt Pizza und Wein in Rom, untermalt mit einer Musikanten Kapelle, gibt's ein schwer verdauliches Baller-Buffet, bei dem die einzige akustische Unterhaltung das Rattern eurer Knarren und der regelmässige Todesschrei am Ende eines gescheiterten Runs ist. Herzlich willkommen in der Roguelike-Hölle von Returnal.


Selenas Zeitschleifen Ballerei beginnt wie jedes normale 3rd Person Action Spektakel. Ihr hüpft problemlos über Plattformen, dasht in alle möglichen Richtungen, spurtet wie ein Marathonläufer und schiesst alles kurz und klein, als wäre es euch mit der Muttermilch in die Wiege gelegt worden. Zu Beginn rennen wir ein wenig orientierungslos durch die verschiedenen Abschnitte, die bei jedem Durchgang neu zusammengewürfelt werden. Die Levels werden nicht wirklich zufällige berechnet, eher werden bereits vorgefertigte Levelteile im Setzkastenprinzip generisch neu arrangiert. Nach ein paar Durchläufen seid ihr mit sämtlichen Level Variationen vertraut.



Prinzipiell säubert ihr ein paar Räume, schnappt euch das permanente Item und hofft, dass ihr im gleichen Zug noch den Levelboss in die Schranken weist. Denn hat euch einer der Gegner am Schlafittchen und eure Lebensenergie fällt in den Nullbereich, heisst es zurück zum Anfang. Nicht nur verliert ihr sämtliche temporären Zusätze, Boosts, Items, Geld und aufgelevelten Waffen, oh nein, Rücksetzpunkte, Continues oder Autosaves existieren in Returnal ebenfalls nicht. Unser Bester Freund - bis wir was besseres finden - bleibt unsere Startpistole. Zwar verfügt jeder Ballerman (Schrotflinte, Plasmagewehr, Laserkarabiner, Säureblaster, Thermolauncher, etc.) in Returnal über unendlich Munition, aber hey, da Cooldowns gross in Mode sind, warum nicht auch diesen Effekt bei Returnal übernehmen? Ist das Magazin leergepumpt, benötigt Selena ein paar Augenblicke, bis sie wieder feuerbereit ist. Abkürzen lässt sich das Ganze, indem ihr wie in Gears of War im richtigen Zeitpunkt R2 drückt und so wertvolle Sekunden beim Nachladen spart.



Glücklicherweise gibt es ein paar permanente Gegenstände und Spielmechaniken, die zukünftige Versuche vereinfachen. Ballert ihr anfangs nur mit ein paar unterpowerten Schiesseisen auf die agilen Ausserirdischen, entdeckt Selena relativ früh die alternative Feuerfunktion. Per Schultertaste verschiesst sie so zum Beispiel einen kraftvollen Stromstoss, zielsuchende Plasmabälle oder eine breitflächige Beambarriere, was selbst dem dicksten Miniboss locker 50% seiner Energieleiste kostet. Nach ein paar Sekunden Abkühlzeit ist der ALT-Balken wieder voll und der Special-Shot bereit für den nächsten Einsatz.



Selena scannt schon früh im Spiel einen demolierten Roboter und modelliert dessen Überbleibsel zu einem schicken Laserschwert zusammen. Ab sofort dürfen wir die Gegner nicht nur aus der Ferne unter Beschuss nehmen, sondern metzeln selbst die dicksten Kerle mit ein paar Schnitzern ins Jenseits. Später ergänzt eine Grapplehook und die Fähigkeit unter Wasser zu laufen unser Repertoire. Klingt ja eigentlich halb so wild. Nur mit dem Unterschied, dass eure Lebensenergie sehr kurz und Extraenergie rar ist, und die meisten Gegner zu ihren Nahkampfattacken auch noch alle möglichen Projektile verschiessen, als wäre man in einem Bullethell-Massaker à la Ikaruga. Selena springt behände über Wellen an Laserschüssen, weicht einem halben Dutzend Gegner aus und flitzt durchs die Biome, als wäre sie Doomslayer's Lehrling.



Habt ihr den Levelboss auseinandergenommen, muss dieser nicht bei jedem Neustart erneut besiegt werden und, dank einer Art Stargate, dürft ihr nach ein paar Räumen direkt in die nächste Welt eintreten. Gefühlt nach jedem dritten Raum trifft Selena auf einen Teleporter. Diese hilfreichen Reiseportale erscheinen auf den ersten Blick nicht von grossem Nutzen. Sobald man aber deren Sinn verstanden hat, möchte man sie bei keinem zukünftigen Run missen. Erstens reist ihr - falls die Aussichten kritisch sind - umgehend zu wertvollen Health Items, die ihr absichtlich in den Räumen als Backup stehen lassen habt oder, wenn alle Stricke reissen, bequem zum Schiffswrack, um euch kurz hinzulegen und mit voller Power erneut die Spaceganoven in die Mangel zu nehmen.



Verlaufen ist in Returnal kaum möglich. Per Sonar taucht ihr die Umgebung kurz in ein Vektorraster, was euch die Tür zum nächsten Raum anzeigt. Zudem hilft eine übersichtliche 3D Karte. Schlafplätze, Bonuskammern, und Items findet ihr bei jedem Run, jedoch hat auch hier die ganze Sache einen Haken. Erscheint um eines der Objekte eine violette Aura, ist der Gegenstand verflucht. Ihr kriegt damit zwar einen generösen Buff, aber dafür wird euch irgendein anderer, negativer Statuseffekt aufgedrückt, wie z.B. 50% weniger Schaden beim Schiessen oder reduzierte Heilung. Man muss sehr genau abwägen, ob sich das Risiko lohnt, solche verfluchten Container zu öffnen.


Natürlich geht auch in den unendlichen Weiten des Alls nichts ohne die nötigen finanziellen Mittel. Wo kämen wir denn hin, wenn alles Gratis wäre? Gegner hinterlassen neben neuen Waffen oder Heiltränken stets ein wenig Spacegold oder hier "Obolites" genannt. Irgendwann durchkreuzt ihr den obligatorischen Shop Raum, indem ihr euch mit unterschiedlichen Konsumgütern eindecken könnt, insofern die karge finanzielle Natur von Returnal genügend abwirft . Nach jedem Tod ist eure Kasse wieder leer, denn das letzte Hemd hat keine Taschen. Einzig Äther, die andere Währungseinheit von Returnal, darf auch nach dem Tod behalten werden und ihr bekommt damit bereits im ersten Raum ein zufälliges Item, nachdem ihr das entsprechende Portal mit der Devise gefüttert habt. Äther findet man aber nur sehr, sehr selten.



Wer sich unversehrt durch Returnal kämpft, füllt seinen Adrenalinmeter. Dieser 5 stufige Bonus belohnt euch mit zusätzlichen Buffs, solange ihr euch keine Kugel einfängt. Bei einem Treffer werdet ihr umgehend wieder auf 0 zurückgestuft. Zu guter Letzt treiben auch Parasiten in Returnal ihr Unwesen. Diese kleinen, schleimigen "Facehugger" verbinden sich mit eurem Körper und gewähren euch einen permanenten Buff gegen eine geringe Reduktion einer zufällig gewählten Fähigkeit. Der Parasit ist dabei um einiges wertvoller als die verfluchten Gegenstände, da die meisten Parasiten tatsächlich mehr nützen als schaden.


In Sachen Storytelling werden wir regelmässig mit kurzen Einspielern versorgt, der Rest wird durch scannen von Glyphen und Audiologs erzählt. Returnal bombardiert euch nicht mit stundenlangen Storybögen, ändert jedoch gelegentlich den Narrativ in die Egoperspektive. Kurze Sequenzen werden im Silent Hill P.T. Stil absolviert, haben aber spielerisch keine Verbindung zum eigentlichen Run. Einen kompletten Durchgang schaffen Profis in 2 bis 3 Stunden, insofern der Gott Zufall auf deren Seite ist. Um aber das Spiel zu meistern, kann man ungeniert die 25 Stunde Marke anpeilen. So lange dauert es, bis man das System komplett durchschaut und dem finalen Boss gegenübersteht.



Fazit:

Run1: Ich hab die ersten paar Flatter Aliens erledigt, lande in einem Raum mit einer Art Senke und sehe ein rotes Ungetüm. Zack ist der Ausserirdische neben mir. Zwei Hiebe und ich bin tot.


Run 4: Endlich bin ich im Raum mit dem ersten Schlüssel Item. Jetzt kommen aber gleich zwei dicke Kanzler, ich verspringe mich und verballere meinen ALT-Schuss. BÄM! und tot, zurück zum Start...


Run 15: Warum habe ich immer noch diese Popel-Pistole? Ich will wenigstens die Schrotflinte! Während ich darüber nachdenke, werde ich von einem Gegner überrascht, hechte zum Heiltrank, doch von hinten zwickt mich ein zweiter Spitzbube und ich bin wieder tot.


Run 26: Endlich beim ersten Endboss! Dank des Astronauten-Items habe ich noch ein Extraleben, also sollte der fahle Geselle kein Problem sein. Ich bin bei seiner dritten Phase, doch ich werde zu gierig und von seinem Laserbeam geröstet. Zurück zum Anfang.


Returnal's Lernkurve ist steil und steinig, zwei Schritte nach vorn einen zurück. Fehler werden euch nicht verziehen. Housemarque serviert euch die Belohnungen häppchenweise, als wäre man in einer karitativen Suppenküche. Ich bin absolut kein Fan von Roguelikes, "light" oder anderswie. Ich hatte zwar mein Vergnügen mit Titeln wie Binding of Isaac und Dead Cells, aber irgendwann kam ich bei Spielen dieses Genres immer an einen Punkt, wo die Motivation im 2. Untergeschoss landete. Entweder hat man alle Level-Varianten durchgekaut oder der Zeitaufwand deckte sich nicht mit den Erwartungen und Erfolgen. Ich mag es einfach nicht, wenn ich nach stundenlangem Spielen im Endeffekt nur minime Progression als Belohnung bekomme und dann immer die gleichen Levels durchackern muss. Für sowas ist mir dann einfach die Zeit zu schade.



Und auch bei Returnal geht mir dieser grösste "Designfehler" gehörig auf den Senkel. Warum hab ich nach 30 Runs nicht wenigstens die freie Wahl einer Waffe, sondern bin auf die Güte des Zufallsgenerators angewiesen? Dieser Fauxpas kostet dem Game eine Menge Drive. Gleich noch im wildesten Feuergefecht gegen eine Handvoll Bastarde mit Laser und Kanonen um mich geschossen, um nach dem Tod mit der Standardpistole gelangweilt wieder die gleichen Wellen an Gegnern wegzuputzen und zu hoffen, dass im nächsten Raum eine Kiste mit einem richtigen Ballermann liegt ist ein Konzept, das sich mir nicht ganz erschliessen will. Besonders, wenn dann auch noch die Biome von Run zu Run nicht unterschiedlicher sein könnten. Entweder hab ich Glück und bin nach zwei Räumen beim Boss oder ich kämpfe und hetze mich gute 20 Minuten zum x-ten Mal durch die gleichen Levelteile mit den gleichen Feind-Typen oder -Mustern. Kombiniere ich sämtliche Faktoren, ist mir das persönlich zu viel des Unvorhersehbaren und leider auch ein kleiner Spasskiller. An der technischen Umsetzung gibt's kaum etwas zu bemängeln. Selena steuert sich traumhaft und die Spielgeschwindigkeit ist angenehm schnell und zügig. Es ist ähnlich wie bei Remnant from the Ashes: Super Coreplay, dazu die herrliche Grafik und tolle Partikeleffekte und wenn's rumst auf dem Bildschirm, wird stets Action der Spitzenklasse geboten, die keine Wünsche offen lässt. Im Grunde genommen ist Returnal eine hervorragende Sause, nur das Drumherum passt nicht ganz. Hätten wir hier einen kleinen Indie-Titel, wäre das alles kein Problem, aber bei einem Game dieser Grössenordnung muss man sich fragen, auf welche Zielgruppe Sony mit Returnal hinzielt? Also Casual- und Wochenend-Daddler werden kaum länger als ein paar Stunden motiviert sein. Hardcorezocker wie ich mögen zwar eine knackige Herausforderung, aber da tendiere ich doch eher zur klassischen Formel von From Software und Co.



Ein kleiner aber wichtiger Punkt: Wenn mir die PS5 abschmiert, was leider regelmässig bei vielen Spielen der Fall ist und ich so einen guten Run verliere, gibt es keinen Notfall Rücksetzpunkt. Alles für die Katz. Speichern darf man ja auch nicht. Wer da wohl das Spielkonzept zu Ende gedacht hat? Warum nicht zwei Spielmodi? Einen für Normalos mit Rücksetzpunkten und dann noch den mit den aktuellen Einstellungen. So hätte sich Sony gleich eine dicke Käuferschaft hinzulegen können. Man könnte einwenden, dass z.B. Sekiro auch nur über einen Schwierigkeitsgrad verfügt. Dieser Vergleich hat aber soviel gemein wie Fische mit Versicherungspolicen. Wir reden hier von zwei grundverschiedenen Spielkonzepten. Man stelle sich vor, bei Doom Eternal gäbe es nur den Ultra Nightmare Mode, dann hätte sich das wohl so gut wie nie verkauft. Egal wie man es dreht oder wendet, Returnal wird höchstwahrscheinlich nur eine kleine Fangemeinde um sich scharen, denn bei einem Vollpreistitel von CHF 80.- muss der Wiederspielwert einfach gerechtfertigt sein. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Wochen dutzende Returnals auf Ebay oder in Verkaufs-Foren sehen werden. Ich schaue Ende Mai nochmals nach, wie hoch die globale Abschlussrate von Returnal ist. Mich würde es nicht wundern, wenn die irgendwo bei 1% liegt.



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