In 36 Rennen übernehmen wir als mysteriöser «Fahrer Nr. 22» das Steuer der schnittigen Autos eines vermeintlich unterlegenen Rennstalls. Als Underdog fahren wir durch eine Geschichte, in der sich alles um einen vermeintlichen Verlierer dreht, der sich am Ende trotz aller Widrigkeiten gegen den schwarz gekleideten Erzrivalen durchsetzen kann.
Überraschung: In GRID Legends werden die einzelnen Story-Rennen mit echten FMV Cut-Scenes aufgelockert. Die brodelnde Beziehung zwischen dem "bösen" und arroganten Antagonisten und dem Spieler überträgt sich dabei perfekt auf den Asphalt und entlädt sich jedes Mal von neuem, wenn man während eines Rennes schelmisch grinsend an seinem Wagen vorbeizieht. Dem Bösewicht verzeihen wir heimtückische Schubser und unfreiwillige Ausflüge in die Reifenstapel keinesfalls. Rache ist süss und folglich geht es in GRID Legends wie gewohnt öfters grob und verhältnismässig unsportlich zur Sache.
GRID Legends ist ein reinrassiges Arcade-Spiel und steht somit im krassen Kontrast zu Simulationen wie Gran Turismo oder Forza Motorsport. Wie in Arcade-Spielen üblich ist die Herausforderung zu keiner Zeit besonders gross. Regeln und Strafen gibt es selten bis gar nicht und selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad und mit ausgeschalteten Fahrhilfen entscheiden sich die Rennen meistens in der ersten Runde. Fahrfehler korrigieren wir bis zu drei Mal pro Rennen mittels optionaler Flashback Rückspul-Funktion.
Die Unterschiede in der Handhabung der Boliden beginnen und enden beim Gewicht. Autos der gleichen Klasse verhalten sich alle sehr ähnlich. Es spielt also keine Rolle, ob man in einem Lotus mit Heckantrieb oder in einem Audi A4 Quattro durch die Kurven fegt und es spielt auch keine Rolle, ob die Strassen trocken oder nass sind. Bis auf die Drift-Wagen kleben alle Autos förmlich auf der Strasse und man muss sich schon ziemlich anstrengen, um wirklich die Kontrolle zu verlieren.
Nach der Story-Kampagne und dem finalen Erfolg unseres Seneca-Rennstalls ist aber noch lange nicht Ende im Gelände. Es folgt der Karrieremodus, wo wir unser eigenes Team zur Traumtrophäe führen und das bis anhin gesparte Geld endlich nach Herzenslust ausgeben dürfen. Traditionell kaufen wir nicht nur Autos, sondern auch Upgrades, Perks für Teammitglieder oder Fähigkeiten für den Stallmechaniker. Kurzbefehle an den Kollegen wie "fahr aggressiver" oder "halte dich zurück" geben den Rennen eine kleine, taktische Note, während Upgrades an den Wagen die Rennen noch einfacher machen, als sie ohnehin schon sind.
Um Autos tunen zu können, muss man mit ihnen allerdings erst eine bestimmte Kilometerleistung aufweisen, ein Designelement, das mir ein Dorn im Auge ist. Logischerweise schaltet man mit zunehmender Anzahl gewonnener Rennen immer neue und meist bessere Wagen frei. Dass ich mit denen dann aber wiederum erst Dutzende von Kilometern fahren muss, bevor ich bessere Bremsen oder einen stärkeren Motor einbauen darf, kratzt ein wenig am Lack. Sinnvoller wäre es gewesen, würden die freigeschaltenen Ausbaustufen innerhalb der gleichen Leistungsklasse erhalten bleiben.
Das Nemesis-System der Vorgänger ist selbstverständlich wieder mit dabei. Wer wie ein durchschnittlicher BMW-Besitzer fährt, wird den Zorn der anderen Rennteilnehmer schnell auf sich ziehen und folglich öfters angerempelt, am Überholen gehindert oder gleich ganz von der Strecke gedrängt. Da man allerdings die meiste Zeit an der Spitze des Feldes verbringt, kann das Nemesis-System eher selten greifen.
Wer der Standard-Rennen überdrüssig ist, kann sich in anderen Spiel-Modi versuchen. Am meisten Spass hatte ich mit dem Eliminierungsmodus, bei dem das Rennen nicht auf Runden beschränkt ist, sondern alle paar Dutzend Sekunden die letzten beiden Fahrer ausscheiden. Neben den altbekannten Drift- und Punkt-zu-Punkt Rennen hat es sogar ein komplett neuer Modus ins Spiel geschafft. Im «Electro-Mode» fahren wir mit einem topmodernen Elektroauto durch Tore, die uns pro Runde einen Boost verleihen.
Interessant ist auch der Multiklassen-Modus, in dem zum Beispiel benzinfressende US Muscle Cars tonnenschweren Sporttrucks gegenüberstehen. Der im Marketingmaterial prätentiös angepriesene "Race Creator" ist hingegen ein Witz. Wer einen ausgeklügelten Strecken-Editor erwartet wird enttäuscht. Hier wählen wir einfach eine Strecke aus, legen die Anzahl Runden, die Wetterbedingungen und andere Parameter fest und bestimmen, mit welchen Auto man auf die Strecke darf. Das war’s.
Technisch sieht man GRID Legends auf den ersten Blick an, dass es ein generationsübergreifender Titel ist. Zugegeben, die Automodelle sind wirklich hübsch und das Geschehen flutscht stets mit butterweichen 60fps (bzw. 120fps auf Xbox Series X) über den Bildschirm. Die Umgebungen hätten aber definitiv ein Upgrade verdient. Besonders die Bäume haben mich echt zum Schmunzeln gebracht. Auch deren Schatten, die gefühlt 10m vor uns auf der Strasse aufpoppen, machen einfach keine gute Figur.
Natürlich gibt's auch in GRID Legends einen in-game Shop, allerdings war der zum Zeitpunkt dieses Tests noch nicht verfügbar. Ich kann euch also nicht sagen, inwiefern der sich auf den Spielspass auswirkt. Lediglich ein "Mechanic-Pass" für knapp 3.- Franken stand zur Wahl. Wer den kauft, spart ein wenig Kohle beim Tuning und Reparieren der Fahrzeuge. Das Upgrade auf die Deluxe Edition schlägt mit etwa 22.- Franken zu Buche und bietet neben neuen Autos, Strecken und Events ein paar neue Missionen für den Story-Modus.
Fazit:
In einem guten Rennspiel muss sich nicht immer alles um präzise Kurveneinfahrtswinkel, realitätsnahes Fahrverhalten und einen möglichst grossen Fuhrpark drehen. Bei GRID Legends steht der schnelle, unkomplizierte Rennspiel-Spass im Vordergrund. Ich habe auch absolut nichts vom Story-Mode erwartet und war vielleicht gerade deshalb so positiv überrascht. Echte Schauspieler mit Story-Board und Skript!? Man muss sich die Geschichte wie eine Fernsehserie vorstellen, die trotz – oder gerade wegen - manch pathetischem Dialog und schrecklich archetypischen Charakteren äusserst unterhaltsam daherkommt. Das hat mich öfters an eine Folge "The Office" erinnert. Was ich den Machern allerdings vorwerfe ist, dass die Story meine Platzierung in den Meisterschaftsrennen in keiner Weise berücksichtigt. Wenn meine Stallgefährtin damit prahlt, wie unglaublich schnell sie doch sei und dass ich ihr nicht im Weg stehen soll, wenn sie mich überholen will, dann kann ich nur lachen, weil doch stets unsere Konkurrenten und sie selbst diejenigen sind, die an meinem Heckspoiler knabbern.
Ich spiele «GRID» schon seit der Zeit, als es noch TOCA Touring Car hiess und die Lizenz in den Händen von Codemasters lag. Hat der Wechsel zu EA geschadet? Nein. GRID Legends ist ein kompetenter Raser mit robuster Einzelspielerkarriere. Die Vorzüge, dank derer ich GRID mag, finden sich auch im neuesten Ableger wieder. Hirn aus und Fetzen, Drängeln, Rempeln bis die Funken sprühen und die Blechteile auf der Strasse liegen. Die Crashs und das rudimentäre Schadensmodell fand ich schon immer ziemlich cool. Gepaart mit der simplen Arcade-Steuerung sorgt das für jede Menge locker-flockigen Rennspielspass, dem selbst komplette Anfänger etwas abgewinnen können. Schade fand ich, dass viele Strecken und Autos einfach vom Vorgänger übernommen wurden. Das ist nicht zwingend schlecht, denn viele davon sind verdammt gut. Ein gewisses "been there done that"-Gefühl lässt sich aber nicht leugnen. Wer unkomplizierte Arcade-Rennspiele mag, wird mit GRID Legends ohne Frage gut unterhalten.
Wir haben GRID Legends auf Xbox Series X getestet. Das Spiel gibt's auch für PS5, PS4, Xbox One und PC. Das Testmuster stammt von Electronic Arts, wofür wir uns ganz herzlich bedanken!
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